Hartmut Lemp war über 35 Jahre Pfarrer in Villingen und Nonnenroth
Aus dem aktiven Dienst in den aktiven Ruhestand
StenderPfarrer Hartmut Lemp mit Werken belarussischer Künstler03.11.2020 ast Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Dass der 1955 geborene Seelsorger sein gesamtes Leben als Gemeindepfarrer in den beiden Hungener Ortsteilen verbracht hat, heißt aber nicht, dass er nicht über Gemeindegrenzen hinaus gedacht hat. Zahlreiche Ehrenämter in Gremien der Landeskirche wie im Pfarrerausschuss, im Finanz- und im Kirchenordnungsausschuss der Synode machen deutlich, dass er mitgestalten wollte am Gesicht seiner Kirche. Seine Reiseangebote in Länder wie Israel, Palästina, nach Armenenien oder den Jemen sind nicht nur Ausdruck seines Interesses an fernen Ländern, sondern auch am interreligiösen und interkulturellen Dialog. Aber vor allem das Engagement für Weißrussland nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 zeigten, dass man zwar in seiner Kirchengemeinde verwurzelt, aber dennoch an anderen Orten in der Welt etwas bewirken kann.
Partnerschaft auf Augenhöhe
Heute steht das Verhältnis mit der Partnerregion in Belarus auf einer partnerschaftlichen Basis. „Durch den Spendenerlös für die Kunstwerke belarussischer Künstler bei unseren zehn Lichtwege-Ausstellungen und die Auftritte der Folkloregruppen bei unseren Kirchentagen in der Region ist das Geld aus Deutschland kein Almosen mehr. Beide Seiten haben jetzt etwas zu geben“, erklärt Hartmut Lemp. Im Gespräch verrät er, dass die letzte Ausstellung vor zwei Jahren wahrscheinlich nicht die letzte war. Für das neu gestaltete Gebäude der Kreisvolkshochschule in Lich sei um eine weitere Ausstellung gebeten worden.
Kunst an der Schäferwagen-Herberge
Eine spektakuläre Kunstaktion mit belarussischen Bildhauern schaffte es 2017 in die überregionalen Medien, vor allem wegen der Lutherfigur mit dem Davidstern, der jetzt an der Nonnenröther Kirchenmauer steht. Ein hölzerner Luther in Lebensgröße sitzt auch an der Schäferwagen-Herberge, ein weiteres Leuchtturmprojekt der Kirchengemeinde Nonnenroth, 2018 eingeweiht. Es wurde gemeinsam mit der Stadt Hungen und dem Dekanat entwickelt und erfreut sich nicht nur als Pilgerherberge am Lutherweg 1521 großer Beliebtheit. Auch der Dorfladen in Villingen ist ein Projekt, auf dessen Verwirklichung Lemp stolz ist. Gern blickt er auf die Aktionen zurück, mit denen der Laden schließlich durchgesetzt wurde. „Kirche heißt für mich auch zu ermöglichen, dass Menschen lustvoll und gut leben“, sagt er und freut sich noch heute darüber, dass 400 Menschen zur Demonstration für den Dorfladen zusammengekommen sind.
Gottesdienst-Experimente und Seelsorge
Wichtig war und ist ihm aber auch das ganz normale Gemeindeleben, der Konfiunterricht, das Planen und Diskutieren mit dem Kirchenvorstand, Seelsorge, Besuche und nicht zuletzt die Gottesdienste. Dabei hat er, zum Beispiel mit den „Sternstunden“ immer gern mit neuen Formen experimentiert.
Bankkarriere aufgegeben
Dass der im heutigen Gladenbacher Ortsteil Weidenhausen aufgewachsene Lemp einmal Pfarrer werden würde, war kaum zu erwarten. Nach dem Volksschulabschluss gestattete ihm ein gutes Abschlusszeugnis der Handelsschule eine verkürzte kaufmännische Ausbildung bei der Sparkasse Biedenkopf. Die anschließende Weiterbildung zum Sparkassenbetriebswirt in Frankfurt und sein Gespür für die Finanzmärkte hätten die Grundlage für eine Karriere im Bankensektor sein können – wäre da nicht die junge Mutter in Geldnöten gewesen, der er unbürokratisch aus der Patsche half. Die Reaktion seines Chefs, jemand wie Lemp gehöre ins Pfarramt und nicht hinter den Bankschalter, nahm der junge Mann wörtlich und kündigte. Ohne jegliche Fremdsprachenkenntnisse machte er sich im Laubach-Kolleg auf den Weg zum Abitur. Dank freundlicher Nachhilfe durch den Lehrer Dr. Kammer und mit großem Arbeitseifer schaffte er am Ende seiner Schullaufbahn nicht nur die allgemeine Hochschulreife, sondern hatte auch alle alten Sprachen für das Theologiestudium in der Tasche, das Lemp dann in Heidelberg antrat.
Er schwimmt nicht mit dem Strom
Obwohl sein Interesse für das Alte Testament im Studium groß und die Voraussetzungen dafür vorhanden waren, entschied er sich früh gegen eine akademische Karriere und für das Gemeindepfarramt. Nach dem Studienabschluss in Marburg und dem Vikariat in Lollar folgte 1985 der Umzug mit Frau und Tochter ins Pfarrhaus nach Villingen, aus dem er vor wenigen Wochen ins eigene Haus nach Nonnenroth umgezogen ist. Ein bisschen stolz blickt er auf nicht wenige Einträge in seine Personalakte zurück. Sie stehen unter anderem für das reformierte Erbe, dem er sich verpflichtet fühlt, aber auch dafür, dass er immer seinen eigenen Weg gegangen ist. Einen Eintrag erhielt er beispielsweise für die erste Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paars in der Laubacher Kirche.
Dieser Ruhestand wird garantiert nicht ruhig
Auch im Ruhestand will der Pfarrer gern weiter für die Schäferwagen-Herberge, die Partnerschaft mit Belarus und im Heimatkundlichen Arbeitskreis wirken. Außerdem bleibt er weiterhin im Vorstand der Versorgungsstiftung der Landeskirche tätig. Und in den zwei Monaten bis zum Amtsantritt seiner Nachfolgerin wird er den Vertretungsdienst übernehmen. Deshalb war der Gottesdienst am Reformationstag zwar der Abschied aus seiner aktiven Dienstzeit, gleichzeitig aber der Beginn eines genauso aktiven Ruhestands.
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