Evangelisch im Gießenerland

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote der Evangelsichen Dekanate Grünberg, Hungen und Kirchberg zu Ihnen passen.

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          Besuch bei der lutherischen Minderheit in Usbekistan

          Rührend museal und ohne Perspektive

          Lutherische Gemeinden ohne Perspektiven erlebten Pfarrer Dr. Achim Reis und sein Kollege Stefan Reder bei einem Besuch im Auftrag des Gustav-Adolf-Werks in Usbekistan. Achim Reis, Pfarrer in Birklar, Muschenheim und Eberstadt, berichtet über seine Eindrücke aus dem bevölkerungsreictsten Staat Mittelasiens.

          Der Wagner-Aufstand ist schuld. Schuld am drastischen Kursverfall des russischen Rubels in Usbekistan. Unsere Freunde aus Taschkent sind sich da ganz sicher. Bis zum Aufstand gab es für einen Rubel etwa 132 usbekische Som, nach dem Aufstand, am Tag unserer Einreise, nur noch 50.  Will man dagegen Som in Rubel tauschen, steht der Kurs unverändert bei 140 Som pro Rubel. Gut, dass wir Euro und Dollar mitgenommen haben, deren Kurse sind stabil geblieben.

          Der Krieg in der Ukraine kommt kaum vor

          Der Krieg in der Ukraine kommt in den Tagen unseres Aufenthalts in Usbekistan kaum vor, die Menschen hier haben andere Themen. Etwa die Wahl des Staatspräsidenten am 9. Juli. Der Amtsinhaber und drei weitere Kandidaten waren angetreten, der Amtsinhaber hat 87,05% erreicht - so das offizielle Ergebnis. Und auch wenn vom Umweltaspekt her betrachtet die reichlich spärliche Plakatierung zur Wahl eher erfreulich zu nennen war: für dieses Ergebnis hätte es noch weniger Werbung gebraucht. Unsere Freunde in Usbekistan sind sich ohnehin sicher: Präsident Mirziyoyev macht seine Sache gut, es besteht kein Grund zum Wechsel.

          Jahrzehntelange Partnerschaft

          Vom 6. bis zum 12. Juli besuchen Pfarrer Stefan Reder und ich im Auftrag des Gustav-Adolf-Werks (GAW) in Hessen und Nassau die verbliebenen lutherischen Gemeinden im bevölkerungsreichsten Staat Mittelasiens und knüpfen Kontakte zu den Organisationen der deutschen Minderheit sowie der katholischen Kirche - das GAW Hessen und Nassau verbindet eine jahrzehntelange Partnerschaft mit der kleinen lutherischen Minderheitskirche Usbekistans.

          Die kleine lutherische Kirche schrumpft weiter

          Die an sich immer schon kleine lutherische Kirche Usbekistans hat in den letzten Jahren noch einmal deutlich gelitten: Mit dem Tod der Gemeindeleiterin in Krasnogorsk ist der dortige Kreis kaum noch existent, es verbleiben die Gemeinden in Taschkent und Fergana. Vor ein paar Jahren waren es noch deutlich mehr: Tschirtschk, Angren, Yangi-Abad, Samarkand. Alle sind sie Aussiedlung zum Opfer gefallen. Wobei diese nicht immer nur Richtung Deutschland erfolgte, viele zieht es nach Russland: Die durch und durch russifizierte deutsche Minderheit kommt - wie auch die anderen Europäer - zunehmend schlechter zurecht mit dem allerorts spürbaren Vormarsch des Usbekischen. Der betrifft übrigens auch die Einwohner der historisch vorwiegend tadschikischen Landesteile - einer der Gründe für das spannungsgeladene Verhältnis der beiden benachbarten Ex-Sowjetrepubliken. Die willkürlichen Grenzziehungen zur Sowjetzeit im einstigen Großraum von Turkestan sollten das Verhältnis unter den fünf Nachfolgestaaten zum Dauerproblem machen.

          Eine Mischung aus Deutsch und Russisch im Gottesdienst

          Zum Gottesdienst in Fergana haben sich 15 Gemeindeglieder im Bethaus versammelt - für einen Freitag eine gute Zahl, viel mehr kommen aber auch sonntags nicht. Predigerin Irina begrüßt uns als alte Bekannte und beginnt mit der Eingangsliturgie. Die Lesungen erfolgen auf Russisch, das Glaubensbekenntnis wird auf Deutsch gesprochen. Die Lieder - mal deutsch, mal russisch - stehen zumeist in der Tradition der Brüdergemeinden, die Texte sind für uns nur schwer nachvollziehbar, wenn etwa die „reinen Seelen“ in Christi Blut gewaschen werden. Unvermutet ertönt die Melodie der alten deutschen Kaiserhymne bzw. der aktuellen britischen Nationalhymne mit einer religiösen Textfassung.

          Die Predigt soll einen Bogen zwischen Deutschland und Usbekistan spannen

          Mit der Predigt versuche ich einen Bogen zwischen Deutschland und Usbekistan zu spannen. Psalm 65, Vers 9b lautet: Du machst fröhlich, was da lebt im Osten wie im Westen. Gott ist überall erfahrbar, mit seiner Nähe, mit seiner Hilfe, in dem Lebensmut, der er spendet.

          Gemeindemitglieder zumeist ältere Frauen

          Die Gemeinde besteht zumeist aus älteren Frauen. Deren Männer haben oft keine deutschen Wurzeln, die (inzwischen erwachsenen) Kinder sind vielfach nach Russland ausgewandert und die Jugendlichen, die sich in der deutschen Minderheitsorganisation „Wiedergeburt“ versammeln, haben keine Beziehung zum Luthertum, sind in dieser Hinsicht durch und durch sowjetisiert.

          Katholiken blicken zuversichtlicher nach vorn

          Nach dem Gottesdienst besuchen wir Pater Sergey von den Franziskanern und die katholische Kirche. Die hat auch einen schweren Stand, schaut aber zuversichtlicher nach vorne. Zwei Priester teilen sich die Arbeit vor Ort, Mönche verursachen kaum Personalkosten.

          Menschen auf der Suche nach einer geistlichen Heimat

          Am Sonntag dann Gottesdienst in Taschkent, ich halte dieselbe Predigt mit nur geringen Anpassungen. In der Kirche erblicken wir vertraute Gesichter und ein paar junge Menschen, die wir gar nicht erwartet hatten. Ludmila Schmidt, Predigerin mit pfarramtlichen Vollmachten, erklärt, dies wären Leute, die auf der Suche nach einer geistlichen Heimat seien. Die meisten würden nicht wiederkommen.

          Deutsche Texte werden kaum verstanden

          Und nach dem Gottesdienst wundert mich das leider auch nicht: Beinhart wird alles konsequent zweisprachig durchgezogen, wobei zu erkennen ist: die deutschen Liedtexte und Teile der Liturgie sind mühsam auswendig gelernt, keiner versteht sie wirklich. Auch holpern die Lesungen derart, dass nicht viel mehr als Lautmalerei dahinterstehen kann. Und am Ende singt ein Chormitglied dann nur auf Deutsch Luthers große Litanei, die Stefan Reder und ich nur aus Taschkent kennen, die uns in Deutschland selbst aber noch nie untergekommen ist.  Kurzum: alles rührend museal, aber ohne jegliche Zukunftsperspektive.

          Der Auftritt der Prädikantin eine Sensation

          Dabei ist der Auftritt von Prädikantin Schmidt im Talar an sich schon eine Sensation:  Sie ist im ganzen Land die einzige Frau mit offensichtlich geistlichen Aufgaben. Sowohl von muslimischer als auch von russisch-orthodoxer Seite gibt es massive Bedenken gegen ihre Amtsführung.

          Fachkenntnisse für den Kirchenbau fehlen

          Der Einbau der vor Jahren schon bestellten neuen Kirchenfenster verzögert sich auf wundersame Weise. Der Fensterbauer kriegt die Mosaike nicht wie besprochen hin. Außerdem tun sich Risse im Mauerwerk auf. Hier braucht es Fachkenntnisse, um den nötigen Reparaturaufwand abzuschätzen. Wir trauen uns das nicht zu. Immerhin: Die Taschkenter Kirche ist der einzige historische lutherische Kirchenbau in ganz Zentralasien, die ersten Pläne dazu entstanden noch unter dem Einfluss von General Konstantin von Kaufmann, unter dem alle zentralasiatischen Erwerbungen Russlands ab 1968 zum Generalgouvernements Turkestan vereinigt wurden.

          Unterstützung funktioniert über Konfessionsgrenzen hinweg

          Auf unserem Programm steht noch ein Gespräch mit dem katholischen Bischof von Usbekistan, dem Franziskaner Jerzy Maculewicz. Er kümmert sich seit dem Tod des früheren lutherischen Bischofs Kornelius Wiebe und dessen Frau Sonja um deren behinderten Sohn Artur. Es ist ein Wunder, dass Artur alleine in der elterlichen Wohnung bleiben kann, ohne die Unterstützung durch Bischof Maculewicz wäre das nicht machbar. Die Nachbarn unterstützen ebenso. Das islamische Mahalla-System der Stadtviertel mit institutionalisierter Selbstverwaltung fördert das Füreinander-Einstehen in den Vierteln.

          Besuch auf dem islamischen Friedhof

          Schließlich fahren wir zum islamischen Friedhof, auf dem Arturs Mutter inmitten ihrer Eltern begraben ist. Sie ist eine Tatarin und hat immer an ihrer Herkunft festgehalten. (Bischof Wiebe ist bei seinen Eltern bestattet).

          Einladung in den Moschee-Neubau

          Neben dem Friedhof ist eine Moschee im Bau. Als Stefan Reder und ich auf ein Taxi warten, werden wir von Bauleiter angesprochen, ob wir uns die Baustelle einmal ansehen wollen. Wir nehmen das Angebot gerne an. Im Entstehen ist die Scheich Ziyovuddinxon Moschee, die größte Moschee Zentralasiens mit Patz für 15 000 Gläubige. Auf vier Etagen verteilt sind die Beträume, deren Durchmesser beträgt jeweils 40 Meter. Die Raumhöhe im oberen Stockwerk misst bis zur Kuppelmitte 35 Meter, das Minarett ist 65 Meter hoch. Die Arbeiter haben ihre Betten im Rohbau aufgestellt, sie schlafen, wo sie arbeiten, sind voll und ganz nur für den Moscheebau da. Dieser wird - so hören wir - alleine aus Spendenmitteln finanziert, ganz im Sinne des Namensgebers der Moschee, der als islamischer Gelehrter in der früheren Sowjetunion wirkte. Wir könnten auch etwas spenden, so der Bauleiter. Aber das GAW hat andere Aufgaben, wir freuen uns schon über 15 Gläubige - so geht Diaspora.

          Katholiken erleben bescheidenes Wachstum

          Die katholische Kirche in Usbekistan ist - auf bescheidenem - Expansionskurs. Im ganzen Land gibt es Gemeindeneugründungen, für Taschkent spricht Bischof Maculewicz von 500 Gemeindegliedern. inclusive Diplomaten, Geschäftsleuten und einer Reihe von indischen Medizinstudenten, die lieber in Usbekistan als zuhause studieren, weil das Studium hier preiswerter ist als in ihrer Heimat.

          Ist in der Ukraine immer noch Krieg?

          Am letzten Tag der Reise habe ich die russisch-orthodoxe Kathedrale besucht. Der Wächter herrscht mich schon vor Betreten des Geländes an: Keine Fotos. Mit dem Mobiltelefon ja, mit der Kamera nein. Ich verstehe den Unterschied nicht, ich lasse es lieber ganz. Anschließend fragt mich auf dem Basar der Trockenobstverkäufer, wo ich her sei. Aus Deutschland. Da sei doch jetzt Krieg. Nein, in der Ukraine ist Krieg. Ach, da ist immer noch Krieg? Auf dem Basar werde ich auch mehrfach wegen des Umtauschs von Rubeln angesprochen. Der Schwarzmarktkurs ist wieder bei 110 Som für einen Rubel. Und bei der Abreise hat sich dann auch der offizielle Kurs erholt: Immerhin gibt’s auf dem Flughafen jetzt 80 Som für die russische Währung.

          Achim Reis

          Das Gustav-Adolf-Werk

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