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          Landtagswahl Hessen

          Wie politisch darf die Kirche sein?

          Benjamin SchröterLandtagswahl in HessenLandtagswahl in Hessen

          In Hessen hat der Landtagswahlkampf seinen Höhepunkt erreicht. Im Netz, im Fernsehen, im Radio: die Spitzenkandidaten der Parteien sind fast omnipräsent. Und das ist gut so. Wir Bürger sollen wissen, für was die Parteien stehen. Wahlempfehlungen gibt die Kirche nicht. Kritiker sagen – sie tut es trotzdem. „Die Kirche entwickelt sich langsam zu einem Moralinstitut, das parteipolitische Präferenzen äußert, auch von der Kanzel“, so der Schriftsteller Klaus Rüdiger Mai.

          „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos oder der Grünen Jugend verbracht?“ Der Satz stammt vom Chefredakteur der Welt, Ulf Poschhardt, der damit letztes Jahr für Diskussionen in den sozialen Medien sorgte. Der Journalist machte damit auf Twitter seinem Unmut über eine Predigt Luft, die er als parteipolitisch gefärbt empfand.

           

          Klaus Rüdiger Mai: Kirche begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tod

          Damit hatte er wohl etwas ausgesprochen, was manche Menschen in Deutschland umtreibt. Kurz formuliert: Die Kirche mischt sich zu sehr in die Politik ein, anstatt sich um ihr Kerngeschäft, den Glauben, zu kümmern. Etliche Kommentatoren in Tageszeitungen haben sich daraufhin an der vermeintlichen Kommerzialisierung, Banalisierung und Politisierung - besonders der evangelischen Kirche – abgearbeitet.

          Der Schriftsteller Klaus Rüdiger Mai hat dazu gleich ein ganzes Buch geschrieben. Er sagt: „Die Kirche hat ein riesen Problem! Vor allem durch parteipolitische Äußerungen säkularisiert sie sich selbst.“ Den Grund dafür sieht der Schriftsteller vor allem in der Angst der Kirche, bedeutungslos zu werden. Man könne das „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ nennen, so Mai.

          Doch sollte die Kirche sich überhaupt um Politik kümmern? Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sagt dazu: „In einer demokratischen Gesellschaft stehen alle mitten im politischen Diskurs. Auch wer sich nicht zu einer Sache verhält, macht eine Aussage. Kirche muss daran gelegen sein, daran mitzuwirken, dass Menschen gerecht und friedlich miteinander leben.“

           

          Ein Bündnis zwischen Kanzleramt und Kirche?

          Mit diesem allgemeinen politischen Engagement der Kirche kann auch Klaus Rüdiger Mai leben. Der Knackpunkt ist für ihn aber, dass die Kirche sich parteipolitisch äußert – wenn auch nur zwischen den Zeilen. „Besonders in der Flüchtlingspolitik hat die evangelische Kirche ganz eindeutig Parteipolitik gemacht. Es konnte einem so vorkommen, als gäbe es ein politisches Bündnis zwischen Kanzleramt und der Kirche“, sagt der Schriftsteller. Besonders fatal sei, dass Kirche auch von der Kanzel herab parteipolitisch predige.

           

          „Bestimmte Positionen ergeben sich aus der biblischen Botschaft“

          Werden von den Kanzeln parteipolitische Kommentare gepredigt – verbrämt mit religiöser Sprache? Das zu beweisen ist zugegebenermaßen schwer. Schlimm genug, wenn manche es so wahrnehmen. Kirchenpräsident Jung sagt dazu: „Natürlich darf von der Kanzel nicht parteipolitisch gepredigt werden. Es muss aber von der biblischen Botschaft aus sehr wohl auch über gesellschaftliche Verhältnisse geredet werden.“ Dabei könne es natürlich sein, dass dieser Blick auf die Gesellschaft auch von politischen Parteien geteilt werde, oder gar in Parteiprogrammen zu finden sei. „Meines Erachtens muss erkennbar sein, dass nicht so geredet wird, weil es von dieser oder jener Partei vertreten wird, sondern weil sich dieser bestimmte Blick aus der biblischen Botschaft heraus ergibt“, so Jung. Dazu gehöre es auch, die Hörerinnen und Hörer der Predigt zu einem eigenen Urteil, das vielleicht auch anders sein könne, zu ermutigen.

           

          Kirche im „Mainstream der Political Correctness“

          Fakt ist aber, dass diese kirchliche Selbstbeschränkung bei manchen Menschen nicht ankommt. In den sozialen Medien werfen sie der Kirche immer wieder rot-grüne Parteipolitik vor. Und auch Spitzenpolitiker kritisieren die politischen Äußerungen der Kirche. Kurz vor dem Kirchentag im vergangenen Reformationsjahr schaltete sich der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – selbst Protestant – in die Debatte ein. In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ kritisierte er: „Die Kirche muss aufpassen, dass sie sich nicht nur im Mainstream der Political Correctness mit größter Betroffenheit engagiert“. In der Demokratie könne jeder seine eigene Meinung haben: „Das verstehen diejenigen oft nicht, die sich aus tiefer Glaubensüberzeugung äußern.“

           

          AfD auf dem Kirchentag: Ja oder Nein?

          Ein Paradebeispiel für Schäubles Vorwurf könnte der Beschluss des Kirchentagspräsidiums vom September sein. Er lautet: beim Kirchentag 2019 in Dortmund werden keine Funktionäre der AfD auf Podiumsdiskussionen eingeladen. Und das obwohl der vorangegangene Kirchentag durchaus auf einem Podium eine Diskussion unter anderem zwischen der AfD-Vertreterin Anette Schultner und dem Berliner Bischof Markus Dröge möglich machte. Jetzt geht man weiter auf Distanz zur AfD. „Eine völlig falsche Entscheidung“, sagt Schriftsteller Mai. Und damit kein Missverständnis aufkomme: „Ich würde es genauso schlecht finden, wenn die Linken oder Grünen ausgeschlossen würden.“ Entweder es gebe eine politische Diskussion mit allen relevanten Parteien - oder eben gar keine.

          Der Präsident für den Kirchentag 2019, Hans Leyendecker, widerspricht: „Der Kirchentag ist doch keine Talkshow. Vertreter einer Partei, die in Teilen hetzt, menschenverachtend agiert und rechtsextrem ist, hat auf einem Kirchentag nichts zu suchen.“ Genau in dieser Argumentation sieht Mai aber das Problem der Kirche exemplarisch formuliert. „Herr Leyendecker maßt sich an, zu sagen, was rechtsextrem und menschenverachtend ist. Die roten Linien definiert aber nicht er oder die Kirche sondern das Grundgesetz.“ Und weiter: „Wenn Herr Leyendecker ein Demokrat ist, muss er die Diskussion auch mit der AfD aushalten."

          Kirchenpräsident Jung entgegnet dem pragmatisch: „Die AfD hat vielfach zu erkennen gegeben, dass sie oft nicht an sachlichen Diskussionen und gemeinsamen Lösungsversuchen interessiert ist, sondern eine Bühne sucht. Insofern kann ich gut nachvollziehen, dass der Kirchentag diese Bühne nicht bieten will.“ 

           

          „Kirche hat in der Kumpanei der Macht nichts zu suchen“

          Viel schlimmer als der Ausschluss der AfD sei aber das Signal, dass sich die Kirche ihre politischen Gesprächspartner aussuche und sich auch noch mit ihnen schmücke, so Mai. So konnte der vergangene Kirchentag in Berlin durchaus mit politischer Prominenz bestechen: Der ehemalige US-Präsident Barack Obama war zu Gast und ließ sich mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm und Kanzlerin Merkel ablichten. Mai ist der Ansicht, solche medientauglichen Image-Transfers gingen gar nicht: „Kirche hat in der Kumpanei der Macht nichts zu suchen“, so der Schriftsteller.

           

          Wie kann Kirche Menschen wieder erreichen?

          Ob die Vorwürfe nun gerechtfertigt sind oder nicht – die Frage ist, ob Kirche etwas ändern muss, um wieder näher an den Menschen zu sein. Denn was zählt, ist vor allem auch, wie die Kirche von ihren Mitgliedern wahrgenommen wird.

          Wenn es nach Klaus Rüdiger Mai ginge, sollte die Kirche einfach schlichter werden: Sie solle sich auf ihre Kernkompetenzen beschränken. „In einer Demokratie heißt das für mich unter anderem Bibelkunde, Gottesdienst, Seelsorge, Diakonie, Bildung und die Mission.“ Das würde dem Auftrag der Kirche eher entsprechen, als sich an den Zeitgeist zu hängen, erklärt der Schriftsteller.

          Kirchenpräsident Jung ist dieser Vorschlag allerdings zu kurz gegriffen: „Der Gedanke arbeitet mit der falschen Unterstellung, als gebe es eine von den zeitlichen Bezügen losgelöste ewige Wahrheit, auf die sich Menschen konzentrieren können.“  Die biblische Wahrheit sei aber eine Wahrheit, die auch konkret werden müsse – Glauben und Handeln könne man nicht voneinander trennen. Dazu gehöre es auch, das Leben in einer Gesellschaft mitzugestalten.

          Ähnlich sieht es Kirchentagspräsident Hans Leyendecker: „Ein totaler Rückzug aus dem politischen Diskurs wird der Bibel nicht gerecht. Es gibt auch einen Anspruch mit dem Evangelium die Welt barmherziger und gerechter zu machen.“

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