Evangelisch im Gießenerland

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          Konichi-wa

          Mails aus Tokio

          Bernd ApelDer Yasukuni-Schrein in TokioDer Yasukuni-Schrein in Tokio

          Ökumenepfarrer Bernd Apel lässt uns teilhaben an den Erlebnissen und Ergebnissen bei seiner Studienreise nach Japan. In seiner ersten Mail aus Tokio geht es um die Religiosität und die Religionen in seinem Gastland.

          Seit gut einer Woche lebe ich in der japanischen Hauptstadt, genauer gesagt im (Studenten-) Wohnheim des „Tomisaka Christian Center“ im Stadtteil Bunkyo. Aus den vielen und bunten Eindrücken dieser 8 Tage berichte ich heute unter dem Titel:

          Der Schrein des Anstoßes

          Schon vor meiner Abreise wusste ich, dass sich laut Statistik etwa 80% der japanischen Bevölkerung zum Buddhismus bekennen – und etwa 70% zum Shintoismus. Wie das mathematisch geht? Nun, erstere ist die Haupt-Religion und zweite die quasi-religiöse Staatsideologie incl. der Verehrung des Kaisers („Tenno“). Und zu beiden gehört man als „Normaljapaner“ eben dazu. Die etwa 1,5 % Christen haben so eine klare Minderheiten-position und leisten sich dennoch oder gerade deswegen eine kritische Sicht besonders auf den Shinto.

          So besuche ich zusammen mit meinem Gastgeber, Herrn Pfr. Okada, und mit Herrn Zushi, einem baptistischen Christen und Pazifisten das für den Shinto-Kult in Japan zentrale Gelände des Yasukuni-Schreines. 1869 begründet, um der Modernisierung der japanischen Militärmacht unter dem Meiji-Tenno – nach der Niederschlagung der regionalen, adligen Opposition – Gestalt zu geben, wird er just in diesem Jahr 150 Jahre alt und ist entsprechend herausgeputzt. Die Verbindung von Nationalismus, Militarismus und Shinto-Religion ist hier allgegenwärtig – z. B. wenn man sich (wie in einer Moschee) vor dem Betreten des Schreines erst die Hände und Mund waschen bzw. sich rituell reinigen kann. Am Schrein selbst bzw. der Gebetshalle, wo nicht fotografiert werden darf, kommen immer wieder einzelne Besucher und Gruppen an, verneigen sich zweimal, rufen mit Klatschen die Verstorbenen an und werden später für sie beten. U. a. die Beratung durch den deutschen Jesuiten Bruno Bitter, Yasukuni sei nicht nur Tradition,  sondern vor allem (auch) „Religion“, hatte 1945 US-Gouverneur McArthur daran gehindert, den Schrein zerstören zu lassen. Ich selbst würde heut eher den modernen Ausdruck „Zivilreligion“ benutzen: es geht in erster Linie um den Stolz auf die (japanischen) Soldaten, die für Japan gefallen sind - incl. etwa der Koreaner und Chinesen, die damals als Angehörige besetzter Länder zum Japanischen Reich gerechnet wurden.

          So ist der Schrein mittlerweile ein Kult-Ort japanischer Nationalisten bzw. Rechtsextremis-ten geworden ebenso wie ein Protestort linker bzw. internationalistischer Gegendemon-stranten. Leider haben ihn bis in die 1970er Jahre auch deutsche Militärdelegationen besucht, zuletzt aber vor allem Vertreter der „neuen Rechten“ wie Jean-Marie Le Pen vom französi-schen „Front National“. Für einen Moment male ich mir aus, es gäbe in Deutschland einen zentralen Erinnerungsort für die „Helden“ von Wehrmacht und SS…Beim „Tokioter Tri-bunal“ 1946 (entsprechend den „Nürnberger Prozessen“) wurden übrigens (auch) eine ganz Reihe Kriegsverbrecher freigesprochen, vor allem aber der Kaiser selbst nicht als solcher angeklagt, um die japanische Seele nicht zu sehr zu demütigen. Jenseits manches politischen Missbrauchs liegt die Mehrdeutigkeit des Schreines aber wohl in den Tausenden alltäglichen Besuchern, die hier ihre Väter und Großväter erinnern bzw. ehren wollen und den militaris-tischen Beigeschmack in Kauf nehmen. Souvenirs aus Yasukuni sind in Japan sehr beliebt.

          Fast noch brisanter ist das Museum „Yushukan“ neben dem Schein. Herr Zushi nennt es offen ein „Kriegsmuseum“. Es zeigte schon vor 1945 die Tradition der  Samurai, des Militärs und Kaiserreiches. Heute ist Japans Beteiligung am und seine Niederlage im II. WK so dargestellt, dass der japanische Imperialismus des 20. Jhdt. nur eine Reaktion auf den Imperialismus des Westens im 19. Jahrhundert war und Japan zwischen 1937 und 1945 die asiatischen Völker eher von diesem befreit als besetzt hatte. Treue zum Tenno, die Ehre der Nation und das Heldentum der Soldaten sind die Leitwerte der Ausstellungsobjekte. Und manche kritische Informationen wie die angstvollen Abschiedsbriefe der jungen Kamikaze-Selbstmordpiloten sind nur auf Japanisch und nicht auf Englisch wiedergeben. Bei so viel Geschichtsklitterung kann ich nicht verdrängen, wie zuhause in Deutschland Herr Gauland von der AFD über die Erfolge der Wehrmacht schwadronierte.  Und wenn die kleine Minderheit der Christen hier zu den Wenigen gehören, die Japans neuen Nationalismus kritisieren, fühle ich mich als (Mehrheits)-Christ aus dem Westen ökumenisch sehr mit ihnen verbunden.

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